29.12.01


alles so unwirklich, so hell draussen, nachts um 11, der schnee leuchtet fast, unmengen von schnee, kann mich nicht erinnern, so was schon mal gesehen zu haben, nicht hier, und je länger ich in´s wäldchen schaue, desto häufiger höre ich das brechen der äste, und da seh ich´s auch, ganz nah, die äste halten den schnee nicht aus. unglaublich unwirklich, ich will das nicht haben und meine jalousie ist kaputt, der schnee leuchtet in´s zimmer, ich möchte ein winterschlafender bär oder eine winterschlafende älis sein, verkrochen, unsichtbar, ungerührt.



28.12.01


Ich hatte Besuch von Dienstag bis heute und nun ist er wieder weg, der Besuch. Hab ich schon mal erwähnt, daß ich Abschiede nicht mag ...?

Wir haben praktisch nichts gemacht und wurden immer müder davon. Dann haben wir uns ausgeruht. Es war wundervoll :-) Mir scheint, als hätten wir uns wirklich gebraucht, es gebraucht, diese Tage miteinander, um beide zur Ruhe zu finden. Rannten, flogen fast, Tage oder gar Wochen mit über 200 auf der Überholspur, ohne Rast und ohne Pause, um uns am Dienstag auf einem Rastplatz zu treffen. Anstatt gemeinsam weiterzugehen sind wir dort geblieben, und das war gut.
Die Pause ist zuende, wir sind wieder auf unseren Spuren, sie auf ihrer, ich auf meiner. Rennen mag ich nicht mehr, ich werde wandern, will Landschaft sehen und Rastplätze.


Draussen stürmt es.


Außerdem war ja Weihnachten. Das war ganz in Ordnung. Ein bißchen Angst um die Oma, als sie das Buch auspackte, ein Schrei, innehalten, Tränen. Gestern hatte sie es schon fast ausgelesen "es ist noch ergreifender als damals (vor 40 ? Jahren), das ist kein Lesen, das ist ein Erleben".

Und ich wurde auch beschenkt, reich beschenkt :-)
(Wie die Kinder: Was hast denn du gekriegt?)
Nützliches (Badesalz, Telefonkarte ...),
Unerwartetes (hübsche Kisten, Comic-Kalender ...),
Leckeres (Plätzchen!) und ...

... einen selbstgemachten Bildschirmhintergrund ... wunderbare Worte ... (Danke Fab :-) ...

... und ... einen Stern.

Einen ganz echten Himmelstern hab ich gekriegt, den ich mit zwei der mir liebsten Menschen teilen darf.


Und noch ein Erlebnis: "Herr der Ringe" (wäre auch ohne Orlando Bloom ein Erlebnis).



22.12.01


"Nachts um 1 barfuß im Schnee, der Erkältung tut´s wohl nicht gut,
wohl tut´s aber mir, es ist so unglaublich hell hier draussen."

Und wie schön dann das Einkuscheln unter der Decke,
ein Stück Pfefferminzschokolade vom Pfefferminzschokoladenweihnachtsmann dazu.


Vorsichtiges Klopfen kurz vor 11 an der Kinderzimmertür, anstatt des erwarteten, weil - sehr nachvollziehbarem - üblichem "grämpf" ein "Ja?" und gleich drauf freundliches "Morgen". Hier ist heute jemand ausgeschlafen, das ist schön.




Meinem Sohn hab ich manchmal versucht, eins der Lieblingsspielzeuge meiner Kindheit zu beschreiben (er hat bis gestern dennoch keine Vorstellung von dem "Ding" gehabt): ein buntes Band aus einem besonderem Material, wie eine Mischung aus Stoff und Plastik, und wenn man es auf bestimmte Weise bewegt, dann macht es Figuren. Das gab es ziemlich billig, vielleicht für eine Mark, in dem kleinen Laden an der Schule, glaube ich. Vielleicht kommt es mir jetzt nur so vor, doch ich meine, ich habe das Band stundenlang wirbeln lassen, draussen, und war dabei glücklich.


bandkl



21.12.01


Ich treff die Frau in meinem Alter zufällig und das gefällt mir gar nicht, während all des Geplauders (wir kennen uns sehr lang und sehen uns sehr selten) steht eine Frage im Raum, die ich kaum zu stellen wage und doch stellen muss und werde, die Andre wartet drauf und ich will es wissen. "Wie geht es Andi?" frage ich also. Die Andre schaut mich nachdenklich und lange an, bevor sie antwortet:"Andi hat sich ins Koma gelegt. Totsein möchte sie des Vaters wegen nicht, das Koma schien ihr der beste Kompromiß."

Langsames Aufwachen mit eigenartigem Gefühl, die Worte noch vor Augen (ich träum häufig in Buchstaben), es gibt kaum noch Menschen, die mich mit dem Namen meiner Kindheit anreden.





Und nun hab ich endlich frei, muss nicht in die Arbeit, könnte und möchte und müsste aufräumen, zur Bank, in die Stadt, sitz stattdessen hier mit Schmerzen in Brust und Hals wegen Husten, umgeben von zwei Stapeln Papiertaschentüchern, einer frisch, einer benutzt, alle halbe Stunde bring ich handvollweise zerknüllte Tempos zur Mülltüte in der Küche, das nächste Mal bring ich die Mülltüte mit hierher.

Aber ich will jetzt nicht kranksein. Ich werde es ignorieren. Soll es halt wehtun. Soll mir die Nase halt im Galopp weglaufen. Sollen die Knochen halt müde sein. Ich werde jetzt aufräumen.





Und es klappte ein wenig mit dem Aufräumen und es klappte gut mit dem Geschenke kaufen in der Stadt. Ein schönes Geschenk hab ich mir selber gekauft, ganz zufällig lief mir über den Weg, was ich jahrelang nicht vergessen hab, ohne es jemals wieder zu sehen. Bis heute. Ich bin müde, fiebrig und schlapp, der Tag war anstrengend, doch das Ignorieren des Krankseins, soweit möglich, hat sich gelohnt.




17.12.01


Jemand, der mich gar nicht kennt, hat mir heute geholfen, völlig uneigennützig.

Jemand, der mich kaum kennt, vertraut mir und glaubt meinen Worten, obwohl vieles gegen mich spricht.

Jemand, der mich ganz gut kennt, hat mich nach langer langer Zeit angerufen und, ohne ahnen zu können was mich beschäftigt hat heuer, unter andrem gesagt: "Es ist Unsinn, an die Orte der Kindheit zurückzukehren. Es gibt dort niemanden, der auf mich wartet. Und aus Sträuchern wurden Bäume und Bäume sind verschwunden".




16.12.01


Eine Frau läuft, mit vier oder fünf Kindern, sie gelangen an eine kleine Kreuzung, der Junge, vielleicht 8 Jahre alt, bleibt stehen und sagt "Tschüß", die andren gehen weiter, er schaut zur nahen U-Bahn, schaut den sich entfernenden Menschen (Freunden?) nach, ruft "Tschüß", die andren plappern, nun schon ein gutes Stück entfernt ungestört weiter, der Junge guckt hier, guckt dort, ruft laut "Tschüß", jemand dreht sich um und winkt beiläufig. Der Junge geht zur U-Bahn.

Die Mutter schimpft das Kind, ihre Stimme immer lauter, schneidender, "wie eklig, nimm die Hände da weg, eklig, du bist eklig", immer lauter, immer schneidender. Was hat das Kind getan? Das Kind, vielleicht 4 Jahre alt, hielt sich am Festhalteband der Rolltreppe fest.

Die beiden Jungs, vielleicht 5 und 7 Jahre alt, sitzen still und schweigen, die Mutter nicht. "Hör auf zu zappeln. Schau nicht so. Nimm die Mütze ab. Ich will die Mütze nicht, leg sie neben Dich. Dir ist der Sitz zu schmutzig? Dann such die ein andres Abteil. Schau nicht so. Nimm das Taschentuch und mach Dir die Hände sauber. Nein, ich nehm das Tuch nicht, ich nehm nichts von Dir. Schau nicht so. Warum magst Du die Semmel nicht? Dir ist der Zug zu schmutzig? Du bist schmutzig. Schau nicht so - du gehörtest wirklich zuhaus nur eingesperrt. Hör auf so zu schauen - ich merk grad, daß ich mit zwei Volldeppen in der Stadt war".

Wenn ich richtig beobachtet habe, kamen sie alle vom Christkindlesmarkt. Ich hielt die "sich erfüllenden Kinderträume", "glänzenden Kinderaugen im Lichterschein" und "besinnlichen Stunden für die ganze Familie" schon immer für eine Lüge.




Es gibt so Zeiten, da tut einem das Leben nicht besonders gut. Man sollte es dann sparsam konsumieren. Die Dosis macht das Gift und weniger ist mehr.



13.12.01


Wir mussten zum Augenarzt, sonst hätte ich heute das Haus nicht verlassen. Schon gar nicht um in die Stadt zu gehen - zum Glück nur in die kleine Nachbarstadt. Und nach dem Arzttermin bummelten wir ein wenig ... in der Buchhandlung gibt es Bleistifte, gefüllt mit Seifenblasentunke und einem Verschluß, an dem ein Blasröhrchen ist. Im Spielzeuggeschäft gibt es Zwitscherle. Vor vielen vielen Jahren hatte ich jeden Sommer ein Zwitscherle am Gaumen kleben, für 10 Pfennig gab sie es auf der Kirchweih zu kaufen. So liefen wir dann durch die weihnachtsbeleuchtete, recht stille und leere kleine Nachbarstadt, der Sohn zwitschernd und ich seifenblasend, beide uns freuend.



10.12.01


Heute ist der 10., ich hab´s versprochen. Mittlerweile denke ich und möchte eigentlich, halte das für weil ich meine, daß, doch das ist wohl wenn ich glaube, könnte man meinen.

K L I C K



09.12.01


Irgendwann in der Nacht, mir fällt ein:

Auf der Rückfahrt gestern abend saß ich eingepfercht zwischen 6 angetrunkenen Touristen mit Nikolausmützen. Aber jedes Elend ist steigerungsfähig.



08.12.01


Die letzten erlebten Sonnenaufgänge nach durchwachten Nächten, meist zu Zweit, staunendes Feststellen, hui, schon morgen ...
Heute nicht, heute nach ca. 4 Std. Schlaf müde den Alltag beginnen, auf dem Balkon zufällig den Sonnenaufgang wahrnehmen, es ist ein andres Gefühl, auch die Vögel scheinen anders zu zwitschern, wenn der Tag beginnt anstatt die Nacht endet.

Die Dämmerung ist grad vorüber, ich betrete die Straße, Gedanken nachhängend, da wandern - begleitet von deutlich ironischem Unterton - Sätze durch meinen Kopf: "Ein neuer Tag bricht an!" - "Der jungfräuliche Tag" - " Der Tag scheint frisch geboren!", in dem Moment erlischt die Straßenbeleuchtung. Scheint wie das Lächeln der Mutter nach überstandener Geburt: "So, nun bist du also da, und nun?, was wird mit dir werden?"
(Angstgefühle beim Schreiben - Wünschen, daß es bereits vorbei wäre).

Ein alter Bekannter am Bahnsteig, nicht viel älter als ich, er sieht aus, als würde er bald sterben. Beim Hallosagen guckt er zum Boden. Nah bin ich nicht dran an ihm, doch der Alkoholdunst nimmt mir den Atem. Dazu braucht´s eine Menge.
(Der Zug fährt unruhig heute, kann die Schrift kaum lesen).

Am Bahnhof die Menschen finde ich eklig, tadle mich dieses Empfindens wegen, "Darf man so denken?" Als ich in das Gesicht der Frau, die sich hinter mir in der Bahnhofsbuchhandlung anstellt sehe, den angewiderten Blick, ihr genervt-verächtliches "ach goddlana" höre (Doch, man muss auch für "Die Aktuelle" anstehen), weiss ich, ja, man darf so denken und hab zugleich Angst.

Draussen entleert ein Arbeiter die Abfalleimer, sieben Menschen stehen rum und gucken zu. Es ist acht Uhr in der Früh.



06.12.01


Etwas in mir möchte Purzelbäume in der Luft schlagen,
mit dem Wind tanzen gehen und
mit den sich amüsierenden Sternen um die Wette kichern.

Etwas in mir ist bleiernschwer und hält mich am Boden, fest,
jede Bewegung ist zäh.

Wodurch schmilzt Blei?


Meine Oma schrieb mir in´s Poesiealbum: "Bleibe nicht am Boden haften, frisch gewagt und frisch hinaus ..."



04.12.01


Es fällt mir so schwer, mich als Mensch zu begreifen. Ich seh die andren Menschen an und ich seh an mir herunter, während des Gehens, seh Füße, Beine sich bewegen, seh - manchmal zwanghaft schier - in Spiegel oder auch nur leicht spiegelnde Flächen, seh ein Gesicht, alles menschlich. Und doch, grade in Gesellschaft andrer, schein ich zuwenig oder zuviel zu haben, um so Mensch sein zu können, zuwenig oder zuviel von "etwas".

Ein Spiel mit der Kollegin, von ihr oft, von mir nie zuvor gespielt: Den Menschen um uns herum ein Tier zuordnen. Das Tier nicht herdenken, sondern kommen lassen. Einfach bei manchen, M. ist so eindeutig ein Kaltblut wie Frau W. ein Kolibri. Einfach für mich bei ihr, ein Entchen, und das hat sie in dem Zusammenhang schon oft gehört (Verblüffung auf beiden Seiten - nein, ich erinnere mich nicht, daß wir schon mal drüber gesprochen hätten). Ich? Scheint ihr schwer zu fallen, zögernd entscheidet sie sich für eine Mischung aus einem Tier und Audrey Hepburn (Das Tier werd ich der geschätzten Leserschaft nicht verraten, überlegt euch erst selbst was).

Als ich etwa zwölf war, verglichen sie mich mit Mireille Matthieu (wäre viel lieber Alice oder Dornröschen gewesen), mit etwa sechzehn mutierte ich zu Nana Mouskouri (der Vergleich mit Nico oder Christiane F. hätte mir besser gefallen), nun also Audrey Hepburn. Damit könnte ich mich anfreunden, wenn ich verglichen werden wollte.

Vielleicht will ich sogar.



02.12.01


Ein Mann und eine Frau in einem Zimmer, sie besprechen den Ablauf der nächsten Tage. Es wird alles so geschehen, wie sie es besprochen haben, sie sorgt dafür. Ihn berühren die Momente, in denen sie ihm die Augen schließt, schon nicht mehr, geschweige die nächsten Tage. Drei Männer tragen seinen in Tücher gehüllten Körper aus dem Zimmer. Ich weiss nicht, wessen Entsetzen mich gefangen hält, mir Angst macht vor dem Schließen der Augen, dabei bin ich so müde und würde so gern schlafen. Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen.




Das Grauen über den Nichttraum vor dem Einschlafen war am Morgen weg. Gut so, denn ich will zum Burgbüchermarkt. Viele Menschen am Bahnsteig. Zwei Uniformierte halten zwei Dunkelhäutige auf. "Hääf juu änni, ähhh, änni, ähhh, dogjumend?" Viele Menschen im und um den Bahnhof. Übriggebliebene Schalker Fans gröhlen. Viele Menschen auf den Weg in die Innenstadt, auffallend viele Nikoläuse. Dem Sohn fällt´s ein: Christkindlesmarkt. Der Weg zur Burg ein Abenteuer. Immer mehr Menschen, blinkende Nikolausmützen, Jingle Bells hier, entsprungene Rosen dort, stolperndes Staunen. Und wieder in´s Bild gelaufen, nächste Woche werde ich in Japan beguckt.

Wohltuende Atmosphäre im Saal der Bücher.
Schlendern, Stöbern, Staunen, ohne in´s Stolpern zu geraten. Und ein bißchen kaufen ... Schwer ist´s, sich zu entscheiden. Manche Entscheidungen nimmt mir der Blick auf den Preis ab, doch das macht nichts, ich blättre trotzdem weiter, ich muss es nicht besitzen (nicht unbedingt), ansehen ist auch schön. Da, dieses Kinderbuch hatte ich mal! Aber es ist nicht das, welches ich seit Jahren suche, das finde ich wieder nicht. Dafür ein Dicherquartett, ich hab nun ein Dichterquartett. Und die ersten Weihnachtsgeschenke. Und ein Buch über die Pest in Europa, eine Fallada-Biographie sowie die Geschichte von Bip.
Schön war´s.




Am Abend einen Anruf gekriegt, der Lieblingsonkel meiner Kindheit ist heute früh gestorben. "Unerwartet und plötzlich ..." Bla. Ist natürlich Zufall mit dem Nichttraum vor dem Einschlafen letzte Nacht. So wie es Zufall war, damals mit dem Hund, als ich klein war und den andren Sachen, als ich größer war.



01.12.01


Es wird keinen Adventskalender hier geben. Aber bald was andres.